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Jürgen Stryjak über die feministische Sprachfront

Jedesmal wenn ich meine Kollegin Ulrike darüber belehre, daß sie eine Journalistin sei und kein Journalist, geraten wir ins Zanken. "Krümelkacker", zischt sie dann garstig, "Journalist ist das neutrale Grundwort für alle Journalisten, egal ob Mann oder Frau." Aber was soll ich tun? In meinen Ohren klingt es falsch, wenn eine Frau sich als Arzt oder Sportler bezeichnet, statt als Ärztin oder Sportlerin. Wenn das Gudrun erleben könnte! Zufrieden und anerkennend würde sie den Kopf senken. Meine liebe Freundin und aufrechte Frauenrechtlerin Gudrun Klinke, Anfang 40, Studentin der Sozialwissenschaften im 28. Semester und nur noch ohne Doppelnamen, weil sie noch nicht geheiratet hat. Sie ist eine jener Feministinnen, bei denen ein Mann im Grunde immer nur alles falsch machen kann. Ginge ich beispielsweise in Frauenkleidern zum Fasching, würde sie sagen: "Na prima, sich mal so richtig über Frauen lustig machen!" Wäre es mir hingegen zu albern, Frauenkleider zu tragen, käme Gudruns Antwort prompt andersrum: "Verklemmter Macho! Frauen sind wohl unter deinem Niveau." Bin ich jetzt also ein Feminist, nur weil ich meiner Kollegin Ulrike gegenüber standhaft für den weiblichen Suffix –in kämpfe?

So einfach ist die Sache nicht. Es gibt, so lese ich, ein natürliches und ein grammatikalisches Geschlecht. Und beide haben manchmal ziemlich wenig miteinander zu tun. Der Stuhl ist kein Mann und die Bank keine Frau, obwohl es sich um ein männliches beziehungsweise weibliches Wort handelt. Und ein Mann kann – ganz weiblich – getrost als die Person bezeichnet werden, selbst wenn sie einen Vollbart trägt. Meine Kollegin, pardon, mein Kollege Ulrike schien recht zu haben. Zwar fand ich eine wissenschaftliche Untersuchung, die besagt, daß sich junge Menschen unter 30 beim Sprechen zunehmend für das wirkliche Leben und gegen die Grammatik entscheiden, aber was ist schon das wirkliche Leben? Außerdem hieß die Untersuchung Der Sportstar und ihre Freundinnen, was mich einigermaßen irritierte.

Das Schicksal spielte mir dann die Einführung in die feministische Sprachwissenschaft von Ingrid Samel zu. Ganz in der Tradition der großen Feministin Senta Trömel-Plötz versammelt die Autorin Vorschläge von Feministinnen zu einer längst überfälligen Sprachreform. Das große I vieler SchreiberInnen ist ja ausgiebig bespöttelt worden (Phallussymbol? Penisneid?), was aber sonst noch an Patentrezepten zu lesen war, ließ Versagensängste in mir hochkommen. Würde ich es schaffen, in ein Frauencafé zu gehen, mich auf einen freien Platz zu setzen und ganz locker die Damen an den NachbarInnentischen zu fragen: "Hallo, kann mir mal jefraud von euch sagen, wo die Kellner ist?" Ich habe da so meine Zweifel. Aber die Femistinnen rechnen natürlich mit kleinen Anlaufschwierigkeiten. "Die Frauenbewegung", wird eine Wissenschaftlerin zitiert, sollte am besten gleich "für die nächsten zwei- bis dreitausend Jahre (!) die Totale Feminisierung … praktizieren". Ein gespenstischer Verdacht beschlich mich. Kann es sein, daß alle diese Feministinnen insgeheim Agentinnen des herrschenden Patriarchiats sind? Daß sie eine ausgeflippte Sprachreform nach der anderen erfinden, nur um echte sprachliche Gleichberechtigung in Verruf zu bringen und ein für allemal zu erledigen? Diese bahnbrechende Erkenntnis nannte ich liebevoll: meine kleine Hochverratsthese. Ich beschloß, ab sofort nachsichtig mit meinem Kollegen Ulrike umzugehen und ihn nicht mehr zu überfordern.

Erschienen in "Das Magazin", Ausgabe September 1996.