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PORTRAIT

 

Die folgenden Texte sind ein Auszug aus dem Beitrag "Gesichter einer Stadt", veröffentlicht im August 2001 in der Zeitschrift MERIAN.

KAIRO

Gesichter einer Stadt

 

Frauen auf der Suche nach ihrer Rolle in einer islamischen Gesellschaft. Männer, die ganz oben sind oder ziemlich weit unten. Acht von 16 Millionen in Kairo

Texte: Jürgen Stryjak

SOUAD SALEH, ISLAMISCHE RECHTSGELEHRTE
Die Al-Azhar-Universität in Kairo ist eine der bedeutendsten islamischen Hochschulen der Welt. Dort, am Institut für Islamisches Recht, lehrt Souad Saleh. Die Professorin hält jedoch nicht nur Vorträge in Hörsälen und Moscheen, sondern tritt auch in Talkshows auf, schreibt Bücher und Zeitungskolumnen. Das ist ihr erlaubt, nur eine Fatwa, ein islamisches Rechtsgutachten, darf die 54-Jährige nicht verfassen: "Das dürfen nur Männer!" Anfang der sechziger Jahre gehörte Souad Saleh zu den ersten Frauen, die von der Al-Azhar-Universität zum Studium zugelassen wurden. Als Beste ihres Jahrganges wurde sie 1967 von der Hochschule übernommen. Sie bekam dieselbe Ausbildung wie ihre männlichen Kollegen und besitzt dieselbe Kompetenz. Aber auf ihre Anfrage, ob sie Mufti werden könne, islamische Rechtsgelehrte, hat sie bislang keine Antwort erhalten. "So viel altes Denken. Es wird Jahrzehnte dauern, bis sich etwas bewegt." Und woher nimmt sie die Hoffnung, die sie treibt? "Hoffnung? Habe ich nicht. Ich habe Geduld!"

NAGIB MACHFUS, NOBELPREISTRÄGER
Die Räume seiner Wohnung sind verdunkelt, seine Augen vertragen kein Tageslicht mehr. Zum Fotografieren lässt sich Nagib Machfus auf die Veranda bringen, behutsam gestützt. Es wäre das erste Bild überhaupt, sagt er, das ihn mit Bart zeigen würde. Seit er sich zu oft schneide, rasiere er sich nicht mehr. Die literarische Welt des alten gebrechlichen Mannes liegt im vergangenen Jahrhundert, aber im aktuellen Literaturbetrieb des Landes hat der 90-Jährige auch heute noch eine Stimme. In der arabischen Tageszeitung Al-Hayat verteidigte er einen Theaterautor, der sich für eine Normalisierung des Verhältnisses zu Israel ausgesprochen hatte und deshalb aus dem ägyptischen Schriftstellerverband ausgeschlossen worden war. Teilnehmer eines Seminars, das 1998 anlässlich des 10. Jahrestages der Nobelpreisverleihung an Machfus stattfand, erhielten eine Grußbotschaft des Dichters: "Ich war mehr als begeistert, als ich damals den Preis erhielt, eine Ehre für mich, für Ägypten und die arabische Literatur. Zehn Jahre sind eine lange Zeit, und ich hatte den Preis ganz vergessen. Vielen Dank, dass sie mich daran erinnert haben."

SHEIKH MOHAMMED GIBRIL, KORANREZITATOR
Der 39-Jährige ist die Stimme Gottes. "Ich mache den Koran wertvoller, erleuchte und erhöhe ihn, und ich bringe ihn in die Herzen der Menschen. Dazu hat Allah mich auserwählt." Wenn der berühmteste Koranrezitator Ägyptens auftritt, strömen Hunderttausende zusammen. Seine Stimme ist sanft, warm und kräftig, ihr sonorer Klang so betörend, dass die Hörer in den Moscheen regelmäßig in Tränen ausbrechen. Mohammed Gibril ist ein Superstar: Seine Lesungen sind auf Kassetten und CDs erhältlich, werden regelmäßig im Radio und im Fernsehen ausgestrahlt. Wie ein Popstar reist er durch die Welt, und nach jedem Gebet erscheint ein Live-Mitschnitt. "Das bringt Segen und Gottes Lohn, und es bringt Business." Mit Frau und drei Kindern bewohnt er ein 320-Quadratmeter-Apartment im Kairoer Viertel Mohandessin, dort, wo die Medienwelt zu Hause ist.

INAS EL-DEGHEDI, FILMREGISSEURIN
Sie ist sexy und frech, und das ist Teil ihres Erfolges. Inas El-Deghedi wurde Regisseurin, weil sie nicht in einem Frauenberuf landen, sondern sich von der Masse abheben wollte. 1971 begann sie eine Regie-Ausbildung. In einem Land, in dem Männer das Kino beherrschen, hinter der Kamera und als Publikum, ist die 48-Jährige eine Ausnahmeerscheinung. Im ägyptischen Film sind Frauen nur Darstellerinnen in Männerfilmen, werden geliebt, verführt oder betrogen. In den Filmen von Inas El-Deghedi haben Frauen die Macht. In "Nachtgespräche" filmt eine Edelhure heimlich ihre Freier, hochrangige Politiker und Geschäftsleute. Die Streifen sind auf das ägyptische Massenpublikum zugeschnitten, unterhaltsam, lasziv, erotisch: viel Fashion und Zeitgeist. Bei den Kritikern fallen sie oft durch. "Wahrscheinlich bin ich zu stark. Das macht die Leute nervös. Alle schleppen Jasager hinter sich her, ich gehe allein."

Der komplette Beitrag, einschließlich der hier nicht wiedergegebenen Teile, erschien in der Zeitschrift "MERIAN Ägypten", August 2001. Die Fotos in der Druckausgabe sind von Antonina Gern.