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PORTRAIT

 

KAIRO

Tod im Urlaub

 

Genau ein Jahr ist es her, daß sie bei einem Terroranschlag in Kairo ihren Mann verlor und fast selbst dabei getötet wurde. Jürgen Stryjak besuchte Gudrun Hoppe, die mit einer ungewöhnlichen Spendenaktion in Ägypten für Aufsehen sorgte

Von Jürgen Stryjak

Plötzlich weint Gudrun Hoppe, sie schweigt einen Moment, dann fragt sie: "Ist das nicht verrückt? Da schwärme ich von einem Land, das mir so weh getan hat." Das Land, von dem sie schwärmt, ist Ägypten. Dreimal war sie mit ihrem Mann dorthin in den Urlaub gefahren, nach dem dritten Mal mußte sie ohne ihn zurückkehren. Beide hatten in dem Reisebus gesessen, der am 18. September 1997 vor dem Ägyptischen Museum mitten im Kairoer Stadtzentrum von zwei Terroristen überfallen wurde. Gudrun Hoppe konnte aus dem Bus fliehen, ihr Mann verlor bei dem Attentat sein Leben, zusammen mit acht anderen deutschen Touristen und dem ägyptischen Busfahrer. "Es hat uns beiden so gut gefallen dort unten, wir wären bestimmt noch ein viertes Mal dorthin geflogen."

Von Ägypten und von dem Terroranschlag erzählt sie, als seien das zwei verschiedene Welten. "Ägypten", sagt Gudrun Hoppe, "ist ein Land, das man nicht als normales Urlaubsziel abtun kann. Man muß es einfach gesehen haben, weil es so faszinierend ist." Oder: "Attentäter, das sind in meinen Augen doch Menschen, die es immer und überall gibt, und die wird es auch immer geben." Sie erzählt von den Kulturschätzen Ägyptens und seinen Menschen, ist fasziniert von dem, was sie gesehen und erlebt hat. Und sagt dann, als sie wieder auf den Überfall zu sprechen kommt: "Bei uns passieren doch auch Attentate. Als das vor fünf Jahren in Solingen geschah, bin ich genauso entsetzt gewesen." Fast könnte man meinen, Gudrun Hoppe hätte von dem Anschlag in Kairo nur aus der Zeitung erfahren, den brennenden Bus lediglich im Fernsehen gesehen und nicht selbst in ihm gesessen.

Gudrun Hoppe macht es sich trotz des Schmerzes nicht einfach. So einfach, wie sie es beispielsweise nach der Rückkehr in Deutschland erlebte. Die Presse hatte ihre Schlagzeilen, die westlichen Botschaften gaben Reisewarnungen heraus, das Böse hatte eine Adresse. "Aber wenn bei uns etwas passiert", sagt sie, "wird es weggeschoben, einfach weggeschoben. Es spricht keiner mehr darüber. Das ist es, was mich in Rage bringt. Da habe ich wirklich Wut drüber, daß es heißt: ›Hast du denn keine Angst, da runter zu fliegen?‹ In Florida werden doch auch Menschen einfach abgeknallt. Zu uns dürfte ja dann auch keiner mehr kommen." Es scheint, als fürchte sich Gudrun Hoppe vor nichts mehr, als ungerecht zu urteilen und Unschuldigen dabei weh zu tun. So wägt sie das eine gegen das andere ab, stellt Vergleiche an, ordnet ein und versucht immer irgendwie, so sachlich, vorsichtig und gerecht wie möglich zu urteilen. Angesichts der Tragödie, die ihr in Kairo widerfuhr, fällt es nicht leicht, ihr dabei zu folgen. Abscheu, Wut und der Wunsch, nie mehr auch nur einen Fuß auf den Boden dieses Landes zu setzen, wären die verständlichste Reaktion gewesen. Gudrun Hoppe aber sitzt bereits am 8. Mai dieses Jahres, nur acht Monate nach dem Attentat, wieder in einem Flugzeug nach Kairo.

Im Gepäck hat sie einen Scheck über 13 300 Mark. Das Geld ist das Ergebnis einer Spendenaktion, die in Ägypten für Aufsehen sorgt. Sie will es den Hinterbliebenen des ägyptischen Busfahrers geben, der ebenfalls bei dem Terroranschlag ums Leben kam. Sieben Kinder haben ihren Vater verloren. Als Gudrun Hoppe die Idee zu ihrer Aktion hatte, wußte sie von den Einzelheiten noch nichts. "Ich wollte einfach, daß die ägyptische Bevölkerung erfährt, daß ich keinen Haß ihr gegenüber empfinde, denn die kann ja nichts dafür. Die meisten Ägypter sind lieb, zuvorkommend, hilfsbereit, alles, was man sich so denken kann."

Bereits am Sonntag nach dem Attentat war ihr das Schicksal des Busfahrers in den Sinn gekommen, daß auch er Familie haben würde, vielleicht drei oder vier Kinder, und daß es in seinem Land keine soziale Absicherung wie in Deutschland gebe. "Weißt du was", sagte sie zu ihrem Sohn, "statt daß sie Blumen und Kränze mitbringen, laß ich die Trauergäste spenden." Am Montag lief sie zur Sparkasse, richtete ein Konto ein, dessen Nummer sie auf die Todesanzeigen drucken ließ. Der Reiseveranstalter spendete einen größeren Betrag, ebenso die Firma ihres Mannes und der Fernsehsender PRO 7, der eine Reportage über Gudrun Hoppe drehen wollte. "Als der Kölner Express darüber berichtete, kam noch Geld von Menschen hinzu, die mich gar nicht kannten." Einen Monat später veröffentlichte sie ein Inserat in der größten ägyptischen Tageszeitung Al-Ahram, in dem sie sich "für die große Anteilnahme und die vielen trostspendenden Worte und Gesten" bedankte, die sie aus der Bevölkerung nach dem Tod ihres Mannes erfahren hatte. Das Inserat war mit einem Zitat von Christian Morgenstern überschrieben: "Beim Menschen ist kein Ding unmöglich, im Schlimmen wie im Guten."

Am 10. Mai erreichte das Spendengeld seinen Empfänger in Kairo, den Vater des Busfahrers, den Großvater der Kinder, die jetzt bei ihm leben. Die Medien des Landes berichteten ausführlich. In Kairo trifft man heute kaum einen, der die Geschichte von Gudrun Hoppe nicht kennt. Hadithah, einen Unfall, nennen die Ägypter die Tragödie, die sich im letzten September in dem Touristenbus abspielte. Das drückt eher Fassungslosigkeit als Verharmlosung aus. Die meisten empfinden Scham nach diesem und auch nach dem Attentat von Luxor. Eine Grundregel, den Ägyptern so elementar und wichtig wie Essen und Trinken, war vor den Augen der ganzen Welt verletzt worden: Gastfreundschaft. Die Bilder aber, die sie nun im Fernsehen und in der Presse sehen, die Gudrun Hoppe zusammen mit dem Großvater und den Kindern zeigen, geben ihnen etwas von ihrer Selbstachtung zurück.

Die Botschaft dieser Bilder ist eindeutig: Da sitzen zwei Menschen aus zwei unterschiedlichen Kulturkreisen, die zu Opfern ein und derselben schrecklichen Gewalttat geworden waren. Das gleicht fast einer Art Versöhnungsgeste, wie sie Politiker längst nicht so überzeugend hätten leisten können. Eigentlich ist die 58jährige Hausfrau aus Puhlheim bei Köln nicht der Mensch für staatstragende Gesten, dazu ist sie zu zurückhaltend. "Das sag' ich jetzt mal so", ist eine häufige Redewendung von ihr. Oder: "Ich mag da verkehrt liegen." Oder sie sagt: "Ich verurteile es, sich über die Landessitten hinwegzusetzen. In den Kölner Dom kann ich auch nicht in Shorts oder Radlerhosen reingehen. Man macht so unangenehme Erfahrungen, wie viele Touristen überall herumlaufen, knappsitzende Tops, Minikleidchen. Ich will nicht unangenehm auffallen." Das verbiete ihr der Anstand. Es ist eine Zurückhaltung, die sie nur durchbricht, wenn, wie sie sagt, ihr Bauch ihr das befiehlt, wenn sie das macht, was sie für richtig hält, ohne lange zu überlegen. Wie zum Beispiel, als ihr die Hinterbliebenen des ägyptischen Busfahrers in den Sinn kamen. Aber auch beim Attentat selbst. "Wenn etwas passiert, reagiere ich automatisch. Ich bin dann zwei Personen, eine, die aufnimmt, die andere, die handelt."

Kurz nach zwölf an jenem 18. September vor dem Ägyptischen Museum, als sie und ihr Mann die Sitzplätze vor der hinteren Tür gerade eingenommen hatten, stürmt einer der beiden Terroristen in den Bus, erschießt nach einem kurzen Wortwechsel den Fahrer und dann Touristen in den ersten Sitzreihen. Gudrun Hoppe hört nur ein schallgedämpftes Zischen. "Da sagte ich: Runter, in Deckung! Kurz darauf hörte ich Schreie. Meine Ohren haben dichtgemacht, und irgendwann ist mein Mann dann aufgestanden, und ich bin ihm gefolgt. Mit gesenktem Kopf bin ich ihm gefolgt." An der hinteren Tür hockt sie sich hin und wartet. Eine Frau sagt: "Ich schreie jetzt!" – "Sie schreien überhaupt nicht!" entgegnete ihr Gudrun Hoppe und legt sich über sie. Sie sucht die Tür nach einem Hebel ab, um sie zu öffnen, plötzlich ruft jemand, daß sie offen sei. Gudrun Hoppe springt aus dem Bus. "Wie ich rauskomme, liegt da eine junge Frau und sagt zu mir: ›Ich kann mich nicht bewegen.‹ Mein erster Gedanke war: Da sind doch schon vor mir welche raus. Warum haben die ihr nicht geholfen? Ich nahm sie am rechten Arm und unterm linken und führte sie weg." Ein Ägypter unterstützt Gudrun Hoppe dabei, ein anderer bringt sie über die Straße in ein Antiquitätengeschäft, dessen Rolladen, nachdem sie drinnen ist, wieder runtergelassen wird.

Im Laden befinden sich bereits andere Touristen aus dem Bus in Sicherheit. Nach einer Weile beginnt Gudrun Hoppe, sich um sie zu kümmern. Sie holt aus ihrer Tasche ein Stück Papier. "Es war so ein Zettel mit arabischen Wörtern drauf, wie Guten Tag und Danke, es es mußten sich alle mit Namen eintragen, um im Hotel Bescheid geben zu können. Dann saß Thomas da. Ich bin hin und hab' ihn gefragt, was los sei." Seine Freundin war vermutlich im Bus erschossen worden. "Thomas, sagte ich zu ihm, du schläfst heute bei uns. Wir stellen ein drittes Bett in unser Zimmer rein." In jenem Moment weiß Gudrun Hoppe noch nichts vom Schicksal ihres Mannes. Sie glaubt fest daran, daß er sich bei den Verletzten im Krankenhaus befindet, die Deutsche Botschaft hält sich bedeckt.

Von seinem Tod erfährt Gudrun Hoppe erst am nächsten Morgen. "Bis dahin bin ich überhaupt nicht davon ausgegangen, daß das passiert sein könnte. Und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Auch mein erster Mann war ja tödlich verunglückt, 1969, als er mit einem Segelflugzeug abstürzte. Auch im Urlaub. Es kann doch jemand nicht zweimal auf diese Art Witwe werden." Gegen zehn ruft der Sohn sie aus Deutschland an. "Wir sind froh, daß du aus dem Bus rausgekommen bist", sagt er, "aber der Michael, der ist tot." Die Mutter schweigt, dann bittet sie ihren Sohn: "Paß mal auf, tu mir noch einen Gefallen. Erkundige dich bitte auch nach der Freundin von dem Thomas!"

Gudrun Hoppe ist sicher, daß die Spendenaktion im Sinne ihres Mannes gewesen wäre: "Ich gehe davon aus, daß er es genauso gemacht hätte." Im Mai besucht sie das Viertel, in dem der Großvater mit den Kindern des Busfahrers lebt – als sie das Geld auf eine lokale Bank einzahlt. Es wird fest angelegt, die Kinder sollen, wenn sie 21 sind, ihren Anteil ausgezahlt bekommen. So wünscht es der Großvater. Der Stadtteil heißt Shubra el-Kheima, er ist einer der am dichtesten besiedelten Vororte Kairos. Vier Millionen Menschen leben dort – mehr als in ganz Berlin – in Seitenstraßen und Gassen, die von einer einzigen großen Durchfahrtsstraße abgehen. Der Großvater trifft Gudrun Hoppe das erste Mal in ihrem Hotel, dem Sheraton. In seiner kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung möchte er sie nicht empfangen. Afifi Abd El-Maugud ist 73, nun betritt er das erste Mal in seinem Leben ein solches Hotel. Früher ernährte sein Sohn die ganze Familie – seine Frau, die sieben Kinder, die Großeltern, insgesamt elf Personen. Jetzt leben sie von den Zinsen des Spendengeldes, etwas über 150 Mark im Monat.

"Mein Sohn", erzählt Afifi, "hat sich dem Attentäter entgegengeworfen. Er wollte ihm die Waffe wegnehmen." Auch habe er, bevor er starb, noch die hintere Bustür per Knopfdruck geöffnet. Niemand weiß genau, ob das wirklich stimmt, aber Afifi ist fest davon überzeugt, daß es so und nicht anders war. "Ich würde das gleiche machen", sagt er eindringlich. "So wie die Terroristen, so verhalten sich keine Muslime, das ist gegen die Religion. Weder klein noch groß sind dafür."

Man spürt die Scham, die er empfindet, eine Scham, die Gudrun Hoppe auch während ihres letzten Aufenthaltes in Kairo wieder erlebt: "Ich hatte die ganze Zeit über, die ich jetzt dort unten war, das Gefühl, die Ägypter hätten es am liebsten ungeschehen gemacht. Weil es für sie selber so unfaßbar war." Deshalb auch lehnte sie später Einladungen zu Talkshows kategorisch ab. Die Schreinemakers bat sie in die Sendung, Günter Jauch ebenfalls. "Ich wollte es nicht. Ich wollte einfach nicht über das Attentat berichten." Wird sie wieder nach Ägypten fliegen? "Natürlich. Ich hab' mich von dem Großvater und den Kindern mit den Worten verabschiedet: Tschüß, ich komme bald wieder."

Erschienen in "Das Magazin", Ausgabe September 1998.